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Törnbericht Seestern

Da, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen
Reiseeindrücke von unserem Segeltörn Danzig - Kiel


Für Walfried und Gerd


Der große Physiker Gabriel Daniel Fahrenheit wird am 14.5.1788 in Danzig geboren. Er stellte durch Anschluss seiner Temperaturskala an zwei Fixpunkte erstmals reproduzierbare Weingeistthermometer her und legt den Gefrierpunkt des Wassers mit 32° und dessen Siedepunkt mit 212° fest. Es ist allerdings nicht verbrieft, dass Fahrenheit dem Weingeist auch frönte.

Die Rezepturen sind bekannt. Wenn man jenen Geist – nicht beschworenen - mit Kardamon, Koreander, Pommeranzen-Schalen, Wacholderbeeren und Kümmel ansetzt, wird daraus nicht automatisch Leipziger Allerlei und erst recht kein Kölnisch Wasser, sondern Danziger Goldwasser. Ob Fahrenheit sich nun auch diesem Geist hingegeben haben könnte, ist uns ebenfalls nicht überliefert.

Der Blechtrommler Günter Grass, am 16.10.1927 in Danzig geboren, hatte mehr mit Gesellschaftskritik im Sinn,1959, als an Schallsignale zu denken. Trotzdem war sein Protagonist mit allen Wassern gewaschen.

In seinem Denken ging der Philosoph Arthur Schopenhauer, am 22. 2. 1788 in Danzig geboren, vor allem von Kant aus, jenem Namensgeber des Kantapfels, der nicht zu den Ingredienzen des Goldwassers gehört. Jedenfalls soll der große Philosoph von europäischem Rang nur einmal in Danzig gewesen sein. Wichtig für uns Käpitäne der See ist seine Theorie des Himmels und der Gestirne.

So machten sich also drei Vitorianer, als könnten sie kein Wässerchen trüben, vollbepackt wie die Lastesel, an einem stinknormalen Freitag, gegen 22.00 Uhr, nicht am 13., sondern bereits am 12. September 2003, auf nach Danzig. Nach 16 Stau- und Grenzstunden war man dann am frühen Nachmittag vor Ort, um die Crew um Eugen Richter abzulösen, die von Tallinn gekommen war. Unsere Segelfreunde schienen mir ein wenig abgekämpft und einsilbig ob der vorangegangenen Anstrengungen. Nach kurzer Schiffsübergabe bemächtigten sie sich denn auch recht zügig des Benz und fuhren schnurstracks, von uns mit den besten Wünschen begleitet, nach Hause.

Einpacken, anpacken, auspacken, umpacken – vor allem aber gings ums Zupacken. Hier war die Dreiermannschaft um Skipper Walfried Hauer und seine Paladine, Gerd Peters und meine Wenigkeit, schon wahre Meister ihres Fachs. Gleich zu Anfang testete Walfried den Bootsmannsstuhl ob seiner Haltbarkeit. Dazu ließ er sich von uns ins Top winschen, um dann um den Mast herum Pirouetten zu drehen. Von Höhenangst keine Spur. Wir hatten nur das Problem, ihn von seiner Aussichtsplattform wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen, bei dem herrlichen Ausblick direkt auf das Krantor - kein leichtes Unterfangen. Irgendwann haben wir, ungeduldig geworden, das Großfall gekappt.

Auch beim Einscheren des Vorlieks der Genua in das Rollstag zeigten wir unser ganzes Können. Ein kleiner Riss, den wir unverschuldet hineingebracht haben, blieb nicht ohne Folgen. Hierzu eine kleine Bemerkung am Rande: Genua ist nach Umfrage des Magazins Yacht die mit Abstand beliebteste Stadt aller Skipper. Der Grund: Immer wieder werden sehr laute Hochrufe der Segler auf diese Stadt ausgebracht, so hört man allenthalben in den Häfen Genua hoch, Genua hoch.

Für nur achtzig Euro hat uns unser polnischer Segelmacher einen neuen Draht ins Vorliek eingezogen und die maroden Stellen aufs Beste umgenäht. So gesehen waren wir gut gerüstet für unseren Törn nach Kiel.

Selbst vor defekter Wasserpumpe haben wir nicht haltgemacht und einen Tag damit verbracht, den ganzen Krempel zu verbinden, in enger Koje wars ein Schinden. So lagen wir am Boden und ham den Segeltörn verschoben. Drei Tage lagen wir im Hafen fest, für uns` Gemüt war dies das Best. So kam das eine dann zum andern, uns blieb die Zeit, wir durften wandern.

Dzien Dobry, alle Tage lag die gute Seestern, ganze 12 m, in wunderbarstem Sonnenlicht und voller Wärme vor uns ausgebreitet. Gegenüber unseres Liegeplatzes im Yachthafen steht hoch aufgerichtet das imposante Krantor, neben der gewaltigen Marienkirche das Wahrzeichen Danzigs, beinahe wie hingemalt. Jedenfalls kommen für uns in der Folge kulturelle und kulinarische Freuden in der mit fast 500.000 Einwohner zählenden Metropole nicht zu kurz. Was uns unser Polyglott verweigerte, holten wir uns mit einer Stadtbilderklärerin zurück. Ob Fahrenheit, Kant, Grass, Schopenhauer, sie alle fanden ihre entsprechende Erwähnung und Würdigung.

Meine Freude, dies will ich an dieser Stelle nicht verschweigen, Danzig wiederzusehen, war sehr groß. Aufs Neue fasziniert, wollte ich den längeren Aufenthalt nicht missen. Meine Segelfreunde haben sicher ähnlich empfunden. Als ob sich Geschichte wiederholte – mein Herz schlug mit Tempo ob der quirligen und lebensbejahenden Stadt und der freundlichen Bürger. Und als stiller Beobachter bei den vielen persönlichen Begegnungen der älteren Generation aus unserem Lande mit den polnischen Menschen gleichen Alters, beobachtete ich so manche Erinnerungs- und Vergangenheitsbewältigungsträne in den Augenwinkeln. Aber auch herzliches Zusammentreffen durfte ich wahrnehmen. Sie alle haben ihre Geschichte und sicher sehr viel mitgemacht. Gott sei Dank sind wir auf dem Weg nach Europa.

Zum Tanken mussten wir allerdings noch mit dem Taxi los. Kanister für Kanister Benzin wollten noch mühsam in den Tank der Seestern gefüllt werden. Es geht halt eben an der Peripherie immer noch seinen sozialistischen Gang. Bisweilen.

Heute wollen wir nun in See stechen. Unter der Kuchenbude ist es noch immer sehr warm und wir schreiben bereits den 16. September 2003. Um 17.00 Uhr dann Flaggenparade vor der Westerplatte, vorbei an Gdynia, Sopot und Hel. Hier draußen ist es erheblich kühler und vor allem windiger als in der geschützten Stadt Danzig. Und gleich ging es mit fünf Windstärken gegenan. Den drei Seglern, Meister, Geselle und Azubi fordern die ersten gut 90 Seemeilen einiges ab. Jedenfalls binden wir schon recht bald ein Reff ins Groß, weil der Wind weiter zugenommen hatte. Die wunderbare und sternenklare Nacht, den leuchtenden Mond werde ich so schnell nicht vergessen. Wir begegnen in dieser Nacht nicht einem einzigen Schiff, erst recht keinem Segler.

„Was liebst du denn, seltsamer Fremdling? Ich liebe die Wolken . . die Wolken, die vorüberziehen . . . dort . . . dort . . . und dort . . . die wunderbaren Wolken, die vorüberziehen“. Charles Baudelaire ist nachweislich nie in Danzig gewesen, könnte aber trotzdem mit uns an Bord gewesen sein.

Und unser Hamlet, der ja für alles und für jeden herhalten muss sagt zu Polonius: Seht ihr die Wolken dort, beinah die Gestalt eines Kamels! P: Beim Himmel, sie sieht auch wirklich aus wie ein Kamel. H: Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel. P: Sie hat einen Rücken wie ein Wiesel. H: Oder wie ein Walfisch. P: Ja, ganz wie ein Walfisch.

Es ist aber sicher anzunehmen, dass zu William Shakespeares Zeiten in England die Temperatur noch nicht in Fahrenheit gemessen wurde. Unser alter Freund und Admiral Beaufort, 1774 in Irland geboren, Entwickler der Skala für Windstärken, kannte Danzig dem Namen nach, ohne jemals dort gewesen zu sein. Muss er auch nicht. Für uns Fahrensleute hat er wichtigere Erkenntnisse weitergegeben - 1838. Im Mittelalter bezeichnete Beda Venerabilis zum Beispiel den Orkan als einen „mit tausend Teufeln entfesselten Wind“. Und überliefert ist uns auch der Versuch des großen englischen Physikers Isaac Newton. Er sprang einmal bei einem sehr schweren Sturm gegen den Wind, dann mit ihm – und verglich die gemessenen Weiten mit denen eines Flautentages.

Wir wissen ebenfalls, dass der Engländer Luke Howard 1802 die Meteorologie und Wettervorhersage revolutionierte. Er betrat seinerzeit die europäische Bühne, um bahnbrechende Thesen auch für die christliche Seefahrt aufzustellen. Selbst unser aller geschätzter Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe lieferte eine Hommage an Howard ab. „ drum danket mein beflügelt Lied, dem Manne, der die Wolken unterschied“. Es entspann sich ein Briefwechsel zwischen den beiden.

Zu diesem Zeitpunkt waren Shakespeare fast 200 Jahre und Fahrenheit 68 Jahre tot. Hingegen Baudelaire - noch nicht geboren.

Tatsache ist, dass wir rund zwanzig Stunden später in Leba sind. In Gdansk abgemeldet erwartete uns bereits der Hafenofficer.

Ach, was sind wir drei Segler am Ende der Welt gelandet. Insider wissen jedoch die herrlichen Naturparks mit ihren bis zu 50 Meter hohen Wanderdünen und die außergewöhnlich schönen Sandstrände sehr zu schätzen – um den achtzehntausend Hektar großen Park Slowinski Narodowa um die Seen Lebsko und Gardno, die wir ansatzweise gesehen haben. In diesem Landstrich sind seit Jahrhunderten auch die Kaschuben beheimatet. Mit dem Idiom des Polnischen und des Deutschen. Ein solches Kontrastprogramm hatten wir nicht erwartet. Mir ist nur die Marina im Gedächtnis geblieben. Sie konnte sich zwar mit den besten Hollands vergleichen. Groß, neu, komfortabel. Nur, wir waren die einzigen Gäste. Später besuchten Walfried und ich den ebenso kleinen wie trostlosen Ort. Gerd ist lieber gleich auf der Seestern geblieben.

Bereits am nächsten Tag melden wir uns ab nach Ustka, früher Stolpmünde. Leider verheißt uns der Wind einmal mehr nichts Gutes. Segeln können wir vergessen. Wir hätten zu viel kreuzen müssen. Also, den Jockel anwerfen und motoren.

Allein schon wegen des Essens hat es sich gelohnt, einen Abstecher nach Ustka zu machen. Zweimal kehren wir denn auch im Hotel Rejs ein, einem Fünfsternehaus und mit dem Pascal für höchste Kochkunst ausgezeichnet. So zwischen den Zeilen erfahrt ihr, liebe Leser, dass sich bei uns neben dem Segeln so vieles ums Lukullische drehte. In den zwei Wochen brachten wir es dann doch noch fertig, ein Knorrsüppchen zu kochen. Gott sei Dank ohne Hummereinlage. Diese Tiere können übrigens bis zu 50 Jahre alt werden und sind damit die langlebigsten Krustentiere. Sie stehen in Deutschland auf der Roten Liste.

Insgesamt bleiben wir zwei volle Tage im Stadthafen Stolpmünde, am 18. und 19. September. Auch, weil das nahegelegene Stolp auf unserem Programm steht. Wir sind auf unserem Trip immer wieder überrascht, in welch gutem Zustand sich die Städte, auch in der Provinz, präsentieren. Die Polen haben hier ganze Arbeit geleistet – trotz schwierigster wirtschaftlicher Bedingungen. Vieles hat mittlerweile westlichen Standard, wenn man überhaupt diesen Gradmesser anlegen darf.

Jedenfalls war für uns ein Trip von Ustka ins etwa 25 Kilometer entfernte Stolp ein unbedingtes Muss. Das Renaissanceschloss und Reste der Stadtbefestigung, alles aus dem 16. Jahrhundert sowie die gotische Dominikanerkirche waren aller Mühen wert.

Einer der großen Vorgänger unseres Skippers Walfried Hauer, John Harrison, 1693-1776, löste nicht nur das größte Problem seiner Zeit, sondern der gesamten Schifffahrt. Er bestimmte zum ersten Mal den Längengrad mittels eines Chronometers. Und etwa 80 Jahre später legte der Königliche Astronom George Airy den Längengrad mit der Ordnungszahl 0 mitten durch die Sternwarte von Greenwich. Erst während unserer Fahrt dämmerte mir in aller Deutlichkeit, welch positiven Einfluss die beiden Herren auf Gerd und Walfried ausgeübt haben müssen. Der geneigte Leser erfährt, dass wir statt in Ostindien anzulanden, unsere anvisierten Ziele immer erreicht haben. Punktgenau.

Wir schreiben den 20. 9. 2003. An selbigem Tage laufen wir ein in Rügenwalde, Immer noch begleitet uns sehr sonniges und warmes Wetter. Auch hier: Als Gourmets kommen wir einmal mehr auf unsere Kosten. Und vorher: Stadtrundgang, Hochzeitbeiwohnen, Häuserfotografieren, Schlossbegutachten Tankstellenbesichtigungen, Hauptstraßenaufundabgehen. Jedenfalls ist Rügenwalde ein liebenswertes Städtchen, das uns drei Westtouristen seinen Charme offenbart hat. Selbst Dänenkönig Erik der Erste, 1459, hat es sich nicht nehmen lassen, hier unter die Erde zu kommen.

Trotz und alledem, uns zog es weiter gen Kolberg. Am 21.9.2003. Ein richtiger Starkwind bei sternenklarer Nacht kam auf. Uns blieb nichts anderes übrig, als vor der Hafeneinfahrt zwischen 19.00 Uhr abends und 8.00 Uhr morgens abzuwettern. Wie bei fast allen polnischen Häfen wird ausdrücklich davor gewarnt, bei heftigen westlichen Winden einzulaufen. Erst recht bei Nacht. Wir bleiben, der Not gehorchend, draußen. Die legendären Schalker Fußballer Kuzorra, Szepan, Tibulski hätten ihre Freude daran gehabt, wie wir da draußen herumkreiselten und außerdem ihrer alten Heimat oder der ihrer Vorfahren unsere Aufwartung machten.

Dass Zeit kostbar ist, ist sicher eine alte Weisheit. Dass es in unserer Hand liegt, wie wir diese Kostbarkeit behandeln, vergessen wir allzu oft. Zeitpläne, Termine bestimmen im Allgemeinen unseren Alltag. Wir fügen uns ihnen, müssen uns ihnen fügen. Dabei merken wir häufig gar nicht, wie schnell die Zeit verfliegt. Bei fast allen Menschen, gerade in der westlichen Hemisphäre. Auf See ist das anders: Beim Segeln richten wir unsere Sinne und unser Augenmerk auf die Wolken, die Sonne, den Wind. Wir passen uns an, werden mit ihnen ein Teil des Ganzen. Die Tageszeiten gehen ineinander über, die Nacht steht gleichberechtigt neben dem Tag. Wir haben erfahren dürfen, welch elementare Beziehung dieses Zusammenspiel bewirkt. Wir drei waren, wenngleich auch nur für eine kurze Zeit, diesem Rhythmus der Natur unterworfen. Und ich hätte nicht sagen mögen, dass wir uns in all der Zeit auch nur eine einzige Minute gelangweilt hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Ganz sicher sind diese Anmerkungen meine ganz persönlichen Empfindungen. Trotzdem: Bereits nach kurzer Zeit hatte ich das Gefühl, dass wir drei uns aufeinander verlassen konnten. Ich darf sogar behaupten: Wir waren ein harmonisch arbeitendes Team mit vielen gemeinsamen Interessen. Ja, wir haben viel gesehen – auch weil wir uns darüber im Klaren waren, uns den kulturellen Bedingungen zu stellen. Ich bin der Meinung, dass uns diese Fahrt in einen Winkel Europas, der gerade dabei ist, sich dem Westen aufzuschließen, mehr gegeben hat, als wir anfangs bereit waren, daran zu glauben, dass dies zuträfe. Nur für eine kurze Zeit genügten wir nicht dem Modischen, dem Flüchtigen. Wir drei Fremden sind, so darf ich sagen, auf dieser Fahrt zu Freunden zusammengewachsen. Mit Präzision und Akribie, wenn auch manchmal mit den Augen der Jüngeren ein wenig umständlich und behäbig, hat unser beständiger Walfried auch schwierige Situationen mit Bravour gemeistert.

Ich habe für mein Leben gelernt.

Jedenfalls sind wir ein wenig durchgefroren morgens in die Marina Kolberg eingelaufen. Für uns war ein schattiges Plätzchen reserviert. Nun, da eine Mütze voll Schlaf dringend nötig war, begaben wir uns postwendend in das Reich der Träume. Hernach, bei einer heißen Tasse Kaffee, dachte ich doch darüber nach, was denn Segeln für mich ausmacht. Als Lehrling kam ich zu folgendem Schluss: Segeln ist die höchste Kunst, nass, kalt und krank zu werden, um mit hohen Ausgaben langsam irgendwohin zu treiben. Stimmts, erfahrene Seebären?

Von Anfang an fühlten wir uns wohl in Kolberg. Urkundlich bereits vor mehr als tausend Jahren als wichtigste polnische Burg und bischöflichen Sitz erwähnt, weisen in jüngster Zeit archäologische Ausgrabungen auf das Jahr 800 als Entstehungsdatum hin. Ob nun die fünfschiffige Kollegiatskirche, die zwei alten Mühlen, das Haus der Kaufmannsfamilie Schlieffen, Schinkels Rathaus oder der gotische Pulverturm, alles zeigte sich uns im milden Sonnenlicht des frühen Herbstes. Gerd beherrschte die Gabe, diese Baudenkmäler mit seiner Kamera immer zum richtigen Zeitpunkt einzufangen. Meine Prognose: In spätestens 10 Jahren wird Kolberg nicht mehr wiederzuerkennen sein. Quicklebendig, heiter, herrliche Strände, für mich ist die Stadt ein Geheimtipp für Urlauber oder die, die sich in den vielen Kurhäusern regenerieren wollen.

Bekanntschaft schlossen wir mit Regina und Micha Moczadlo, die sich eine Bavaria bei Mola, Rügen, gechartert hatten. Sie waren für ein paar Tage unsere angenehmen Begleiter und bei unseren kleinen Unternehmungen stets bester Laune. Regina hat uns dann nach der Reise sehr schöne Fotos vom Kolberger Hafen überlassen. Wir drei Seebären waren sehr beeindruckt ob der seglerischen Glanztat der beiden aus dem Unterland. Für Gesprächsstoff jedenfalls war gesorgt.

Liebevoll wird uns ganz sicher auch Bogna in unserer Erinnerung bleiben. Über Sie erfahren wir in den Tagen unseres Aufenthaltes sehr viel über ihr Land und die Menschen, die darin leben. Als unsere private Stadtführerin hat sie uns Vieles erschlossen, was uns drei Seglern sonst im Verborgenen geblieben wäre. Wir werden uns an ihre freundliche und zuvorkommende Art immer gern erinnern.

Dass wir auch in Kolberg gar fürstlich speisten, möchte ich hier nicht weiter erwähnen. Stimmt aber trotzdem.

Nein, liebe Freunde der Seefahrt, nein, keine falsche Erwartungshaltung. Deutsche Shanties, die, laut gesungen, immer wieder gerne in den kleinen gemütlichen und engen Häfen intoniert werden, weil sie zwangsläufig zu Verbrüderungsszenen zwischen einheimischen und fremden Seglern führen, durften wir uns auf Gerds nachdrücklichem Anraten verkneifen. Wir wollten uns nicht mit ihm anlegen. Einmal mehr haben wir eine gute deutsche Tugend nicht genutzt. Eigentlich schade.

Es ist manchmal doch ein bisschen merkwürdig. Bei allen unseren Hafenaufenthalten gab es ganz besondere Spezies von Festmachern. Nach meinen Beobachtungen meistens Männer, die im Hafen herumstreunten und Stricke oder Ketten auffingen, von Yachten aus zugeworfen, um sie dann mit merkwürdigen Schlingen auf besonderen Eisen festzumachen. Einfach zu erkennen an ihren zernarbten Gesichtern, von nicht korrekt aufgefangenen Leinen. Ja, manchmal standen sie sogar mit hilflos ausgebreiteten Armen da, wenn Stricke oder Kettenenden auf sie zuflogen. Sie haben mir dann immer wieder leid getan.

Als wir nach vier ereignisreichen Tagen Kolberg verließen, lagen noch fast 44 Stunden oder über 120 Sm Nonstop-Fahrt gegen Wind und Wellen vor uns. Ohne Pause. Zwei Tage und zwei Nächte hatten wir hinter uns, als wir in Strande strandeten. Jedenfalls durchkämmten in der letzten Nacht in breiter Phalanx und mit speziellen Suchscheinwerfern ausgestattete Boote der DGzRS*) die Kieler Förde und suchten nach der Besatzung eines Segelbootes, welches bei schwerem Wetter ohne Crew vorher von der Besatzung der DGzRS aufgebracht worden war. Dies sollten wir dann später am Tage erfahren.

*) Man schreibt das Jahr 1865. Am 29. April wird die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger in Kiel gegründet. Vorausgegangen waren viele Schiffskatastrophen, die sich in den Jahrhunderten zuvor in der Nord- und Ostsee ereignet hatten. Diese Gesellschaft, einheitlich und unabhängig agierend, findet auch in den angrenzenden Nachbarländern ihre Entsprechung. So haben wir auch in den polnischen Häfen diese Art der Rettungsboote gesehen.

Am späten Morgen des 27. September übergaben wir die Seestern unserer Nachfolgecrew um Eignerin Elke Hunsdiek. - müde aber zufrieden. Skipper Walfried sollte die Seestern dann anschließend nach Makkum, dem Heimathafen, überführen.

Nachtrag: Die erste Gezeitentabelle wurde im Jahre 1546 im französischen Nautischen Almanach veröffentlicht.

Wer weitergehende Informationen braucht, sollte lieber ins Handbuch für Seemannsgarn schauen. Walfried hat es minutiös geführt. Darüber hinaus gibt es laut Lehrbuch Sportküstenschifferschein zwei weitere Unterscheidungen bezüglich des Seemannsgarns. Zum einen: Alle Arten von Hanfseilen an Bord einer Segelyacht sollen verhindern, dass der Mast aufs Deck knallt oder das Schiff den Hafen verlässt, weil Skipper und Crew von demselben rauchten. Und zweitens: Als gehässiges Schimpfwort mancher neidischer Laien, für die romantischen und abenteuerlichen Erlebnisse, die alle der Seemannschaft verpflichteten Segler auf jeder Reise immer wieder erleben dürfen. Diese beiden Definitionen werden regelmäßig bei der theoretischen Segelprüfung abgefragt.



Liebe Freunde, es war und ist das erklärte Ziel meines Berichtes, mit seemännischen Details und Fachwissen aufzuwarten.



Günther Montag, im Herbst 2003


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